Sonntag, 22. Dezember 2013

"Zuschauerräume" (Dok.Film 50 min.)


"Zuschauerräume" Autoren: Marika Lapauri-Burk, Niko Tarielaschwili
Essayfilm, Deutschland/Georgien 2013, 50 Min.
 HD 1920/1080P 25fps sound stereo mix

Ein Film von ავტორები
Marika Lapauri-Burk und Niko Tarielaschwili მარიკა ლაფაური, ნიკო ტარიელაშვილი
Idee, Konzept: Marika Lapauri-Burk (For Lado) იდეა, კონცეპტი: მარიკა ლაფაური
Szenenbild, Foto: Gia Lapauri  მხატვარი: გია ლაფაური
Musik: Dato Malazonia მუსიკა: დათო მალაზონია
Redaktion: Marika Lapauri-Burk, Dr. Frank Tremmel რედაქცია: მარიკა ლაფაური, დოქტ. ფრანკ ტრემელი
Kamera: Niko Tarielaschwili ოპერატორი: ნიკო ტარიელაშვილი
Toningenieur: Iwane Gvaradze ხმის რეჟისორი: ივანე გვარაძე
Schnitt: Niko Tarielaschwili, Marika Lapauri-Burk მონტაჟი: ნიკო ტარიელაშვილი, მარიკა ლაფაური
Produzenten: Marika Lapauri-Burk, Niko Tarielaschwili
Darsteller როლებში: König, Gottfried, Graf Rehlen, Zweiter Offizier: 
Giwi Margwelaschwili / გივი მარგველაშვილი 
von Ramesin: Data Lapauri  დათა ლაფაური
/ Erpich: Giorgi Djibladze გიორგი ჯიბლაძე
/ Herzog: Lado Kalandadze ლადო კალანდაძე
/ Herzogin: Lile Pilpani ლილე ფილფანი
/ Dornrose: Nini Lapauri ნინი ლაფაური



The essay film Spectator Spaces
from Marika Lapauri and Niko Tarielashvili shows the attempt to resolve the involvement of the people in stories and history. It lets the audience, participate in a trans-historical experiment.
With the help of archival footage and staged movie sequences the two directors arrange the legendary German-Georgian writer's and philosopher's Givi Margvelashvili, author of the play of the same name and also the conceptual main protagonist of the film, kaleidoscopic insight into the possibilities and limits of an utopia. The focus of the actual events are the places of doom, such as theater, parliaments, conference rooms, of which history has its origin, and the attempt to wipe out the topography of the dramatic and narrative entanglements. The outcropping while at the same time perplexities of this historical and anti-historical actions affect not only disillusioning, but also open a reflexive access to a sense of space, which rises in the futility of the story about the historical period.

Deutschland/Georgien 2013, 50 Min.
HD 1920/1080P 25fps sound stereo mix

                                                                          

Text: von Jana Papenbroock 
Der Essayfilm von Lapauri und Tarielaschwili ist das Ergebnis ihrer vier Jahre währenden Beschäftigung mit Giwi Margwelaschwili und seinem Stück, die die Regisseure an die unterschiedlichsten Orte geführt hat. Orte, an denen das Vergangene und das Gegenwärtige wie übereinander projiziert erscheinen: Archive, Ruinen, verlassene Bibliotheken, Kinos, Rudimente von Räumen, in denen die Gespenster der Geschichte wirken. Der Film über Margwelaschwilis Stück ist ein Projekt über Geschichte und Geschichtsschreibung, über deren performative und narrative Voraussetzungen. Er ist ein offenes Werk, das sich mit den Mitteln der Multiperspektivität und mit diversen Film- und Videomaterialien auf die Suche nach den räumlichen und zeitlichen Kontinuen begibt, die Geschichte konstituieren und von denen Margwelaschwili erzählt. Es geht um die Sichtbarmachung eines blinden Flecks, der Stelle, an der wir selbst stehen, bereits im Bilde und in der Geschichte sind, aber uns stets unserer Verantwortung freisprechen. Es ist die unsichtbare Stelle des Zuschauers und die Unsichtbarkeit seiner Macht, die sich durch sein unbewusstes Begehren herstellt.
Immerzu sitzen wir im Theater- oder Kinosaal der Welt und schauen ihrem Spektakel und oftmals scheußlichen Treiben zu, ohne Stellung zu beziehen. Stets verschieben wir die Verantwortung auf die Anderen, das System, die Bedingungen. Margwelaschwili kehrt den Spiegel um und richtet das Licht auf die Sitzreihen, damit wir uns erblicken können, uns ein wenig unbequem zumute wird und wir über unsere Situation nachdenken können. "Zuschauerräume" wagt ein Gedankenexperiment: Wenn alle Topographien der Macht, Manipulation und Beherrschung, alle Räume also, die Geschichte produzieren, abgeschafft wären, müssten wir dann nicht in Frieden leben? In einem unbeobachteten Paradies, in dem wir vereint mit der Natur, einander wohlgesonnen und absichtslos existieren könnten. Die Umsetzung des Experiments bedarf  jedoch der Gewalt und der  Zerstörung von Kultur und Geschichte. Dass das nicht gut gehen kann, ahnen wir ziemlich schnell, wenn wir uns die unzählbaren Zerstörungen des vorigen Jahrtausends ins Gedächtnis zurückrufen. Das Stück klärt uns auf über die Gefahren des Terrors im Namen der transhistorischen Utopie. Es zeigt zugleich aber auch fortwährend die gewaltsame Borniertheit der bisherigen Geschichte. Margwelaschwili öffnet so den Raum der gedanklichen Kontextualisierung, in dem wir uns unserer Verantwortung als Akteure bewusst werden und in dem allein unsere Verstrickungen sich auflösen lassen.
Immer wieder sehen wir im Film eine weiße Leinwand, sehen wir Margwelaschwili lesen, Zuschauer schauen, Episoden aus den Archivmaterialien und Inszenierungen auf der Leinwand im Bild flimmern, die uns für den Raum sensibilisieren, von dem aus wir selbst projizieren, und der uns wiederum als Zuschauer produziert. Warum wollen wir unbedingt immer wieder das Eine, eine packende, gewalttätige Geschichte, sehen und können wir auch Anderes sehen wollen lernen? Der Film selbst ist eine materielle Antwort auf die Frage, in dem er die Möglichkeit eines glücklichen Todes überholter Signifikanten der Macht vorführt, einen Film wagt, der ohne Drama, ohne Mord und Totschlag, der Stimme eines Schriftstellers zuhört, der ganz einfach etwas zu sagen hat. Mit äußerster Behutsamkeit rekonstruiert der Film wie eine experimentelle, audio-visuelle Retrospektive die Zusammenhänge einer Allianz aus Erzähler, Geschichte und Zuschauer und sinniert über die multiplen Inkarnationen dieser Allianz und ihrer Verzahnung mit der brutalen Geschichte des 20. Jahrhunderts, an dessen Ende sich eben diese Konzepte aufzulösen begannen.
Lapauris und Tarielaschwilis selbstreflexiver Film ist eine Hommage und Kritik ihres eigenen Mediums zugleich. Die vielschichtige, musikalische Filmkomposition löst alle deterministischen Genregrenzen auf und verbindet wie in einem videographischen Stream-of-Consciousness, Geschichte im Singular mit den Geschichten im Plural, während wir immer im Zuschauersaal mit dem verschmitzten, intellektuellen Zentrum der ganzen Sache, Giwi Margwelaschwili selbst, bleiben, der uns heiter und optimistisch weiter von der Vergeblichkeit aller königlichen Bemühungen vorliest. „Zuschauerräume" ist als Anstoß zu verstehen, in der Zeit und dem Raum, die uns zur Hand liegen, zu handeln und zu denken, und Geschichte nicht als statische Abhandlung oder Chronologie von Ereignissen zu reproduzieren.
Lapauri und Tarielaschwilis Begegnungen mit den Gespenstern der Geschichte ergeben kein abschließbares Bild. Sie regen uns dazu an, uns selbst mit ins Bild zu setzen, wenn wir über Geschichte nachdenken.

Einführung bei der Premiere in Hamburg
von Dr. Frank Tremmel

Sehr geehrtes Publikum, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer (und diese Anrede ist für den heutigen Abend durchaus programmatisch, wie sie noch sehen werde),

zunächst recht herzlich Willkommen zur zweiten Aufführung des Films „Zuschauerräume“ von Marika Lapauri-Burk und Niko Tarielaschwili hier im Metropolis im Rahmen der Reihe "Einblick-Kaukasus".

Ich wurde gebeten, die Anmoderation des Films zu übernehmen und in diesem Zusammenhang  auch einige Worte über die Philosophie zu verlieren, die sich hinter dem Film verbirgt bzw. in ihm zum Ausdruck  kommt. Keine Sorge, Sie müssen nun keine philosophische Vorlesung über sich ergehen lassen, um in den cineastischen Genuss zu kommen, den Sie ja immerhin schon an der Kasse bezahlt haben und der in der Vorankündigung keinen Vortrag vorsah.

Zudem stößt das von mir Abverlangte auf zweierlei Schwierigkeiten. Zum einen steht jedes Kunstwerk für sich und ist nicht lediglich die Illustration einer Idee. Insofern würde es nicht für den Film sprechen, wenn er einer philosophischen „Gebrauchsanweisung“ bedürfte. Zum anderen – ich bin im Gegensatz zu Giwi Margwelaschwili, unserem Hauptprotagonisten und zugleich unserem eigentlichen Regisseur, kein Philosoph.

Ich habe also lange hin und her überlegt, wie ich mich nun als Historiker dieser Aufgabe gewachsen zeigen kann. Letztlich erwies es sich als nützlich, sich der Doppeldeutigkeit der Historie zu erinnern, die sich als Zunft ja bis heute nicht recht einig ist, ob sie sich nun als Kunst oder als Wissenschaft begreifen soll. Die Historie versteht sich bekanntermaßen ja auch nicht nur als Tatsachenbericht, sondern auch als Erzählung von den geschehenen Taten  und Sachverhalten. Als solche liegt ihr nun eine Materie zugrunde, derer sich  Giwi Margwelaschwili sowohl mit literarischen als auch mit philosophischen Mitteln immer wieder angenommen hat.

Dieses Objekt der Sujetmaterie, wie er es nennt, also die Welt der Erzählungen und der Themen, soll Ihnen heute mit filmischen Mitteln präsentiert werden.  Der Kaukasus  als Berg der Völker und der Sprachen, auf den ja gestern und heute in diesem Kino ein Blick geworfen werden soll, ist zweifellos auch ein Berg der Erzählungen, der Themen. Themen, die oftmals erst durch neue Kontexte wieder einen Sinn erhalten. Über neue Kontexte vielleicht etwas mehr nach dem Film. Ohne allzu viel vorwegzunehmen oder Ihnen im Vorfeld bereits den eigenen Blick durch Interpretationen verstellen zu wollen, seien an dieser Stelle nur ein paar Gesichtspunkte erwähnt, die Ihren Blick lediglich schärfen, aber ansonsten Ihrer Phantasie keinen Abbruch tun mögen. Wie es im Ankündigungstext dieses Films heißt, werden Sie, liebe Zuschauern, heute zu „Teilnehmern eines transhistorischen Experiments“. In seinem Verlauf soll Ihnen gezeigt werden,wie Giwi Margwelaschwili im Flechtwerk der Erzählungen, in das wir offenkundig zutiefst verstrickt sind und das wir Geschichte nennen, eine Art Lichtung, einen Freiraum der verantwortlichen Handlungen eröffnet.

Seien Sie trotzdem gewarnt, aus der Geschichte kommen Sie nicht heraus. Es ist keine spezifisch kaukasische, es ist Ihre/Unsere Geschichte. Aber seien Sie wiederum unbesorgt, Sie bleiben Zuschauer – es passiert Ihnen nichts. Gerade wenn Ihnen beklommen zumute sein sollte und wir müssen Ihnen leider allerhand Unschönes, Blutiges und Gewalttätiges zumuten, atmen Sie durch, bewahren Sie einen kühlen Kopf und bedenken Sie immer – es geht dem Autor, Giwi Margwelaschwili, nur um eines: In der Geschichte verbleibend, einen Freiraum zu entwickeln. Es geht darum, die Räume zwischen den Maschen des Flechtwerks, das wir Geschichte nennen, zu erweitern, am ende sogar darum, neue Verknüpfungsregeln aufzustellen.

Achten Sie in diesem Zusammenhang in dem Film einmal genau auf die von den beiden welthistorischen Gegenspielern bezogenen Positionen  – im Stück als König und als Herzog auftretend.  Nu so viel dazu: Giwi Margwelaschwili ist gewiss kein Denker des modischen „posthistoire“. Das „Ende der Geschichte“ wurde uns im 20. Jahrhundert mehr als einmal verkündet. Ihre Rückkehr folgte jeweils auf den Fuß. Giwi Margwelaschwili gehört aber gewiss auch nicht zu den modischen Verächtern der Utopie, den neuen Herzögen einer ewig gleichen Machtgeschichte, die in Peter Scholl-Latour-Manier ihre Altherrenweisheiten zum besten geben. Über seinen sehr eigenen Standpunkt, seine Philosophie des „Transhistorischen“ als Resultat seines Lebens möchte ich im Anschluss an diesen Film mit Frau Lapauri noch etwas sprechen. Wir stehen Ihnen, liebes Publikum, dann auch gerne für Fragen zur Verfügung. Zunächst, viel Vergnügen bei der passiv-aktiven Verstrickung in unsere Geschichte.


Liebe Marika,

ich bin am Wochenende aus Belgrad zurückgekommen und habe gerade Ihren Film gesehen. Großartig! Ich finde ihn ganz toll. Ihnen und Niko Tarielaschwili ist gelungen, Bilder für die gewaltigen Vorstellungswelten zu finden, die dieser zarte, feine Herr zu entwerfen imstande ist. Ihr Film hat etwas Bezwingendes, man wird immer atemloser und das Ende ist ein Paukenschlag. Ich habe mich gefragt, wie Sie es schaffen wollen, diese philosophischen und zugleich so konkreten Texte filmisch umzusetzen und ihnen gerecht zu werden. Ich finde, es ist Ihnen großartig gelungen. Das Spiel mit den Überblendungen, den verschiedenen Materialien, die Kameraführung und die Anlehnung an den Stummfilm – das alles sind wirklich filmische Antworten und Fortschreibungen auf Giwi Margwelaschwilis Kunst. Und vor allem haben Sie es geschafft, zugleich ein Porträt von ihm zu entwerfen, das nicht vom Äußerlichen ausgeht, sondern vom Innersten Kern dessen, was ihn umtreibt. So wirkt es auf mich.
Ich freue mich schon sehr darauf, ihn noch einmal auf einer großen Leinwand sehen zu können.

Insa Wilke, Publizistin und Literaturkritikerin







                                                                              


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