Samstag, 28. September 2013

Aus der historischen Vergangenheit von Sotschi und Umgebung

von Dr. Zurab Papaskiri
              Bejan Khorava 

Gemäß der Entscheidung des internationalen olympischen Komitees sollen die Winterspiele 2014 in der zur russischen Föderation gehörenden Stadt Sotschi und Umgebung stattfinden. Diese Verlautbarung wurde im Nordkaukasus unterschiedlich aufgenommen. Etliche Organisationen und Gesellschaften in Adygeja-Tscherkessien äußerten offen ihre negative Meinung über diese Entscheidung des IOCs. Dieser Protest hat seine Gründe. Ursprünglich lebten bis zum Ende des russisch-kaukasischen Krieges (1864) auf den Territorien, auf dem die olympischen Spiele stattfinden sollen, Sanigen und Ubychen, eine Bevölkerung adygeisch-tscherkessischer Abstammung. Es ist allgemein bekannt, dass während dieses Krieges das russische Imperium den großen Völkermord an der moslemischen Bevölkerung im Nordkaukasus begangen hat - unter anderem an der Bevölkerung abkhasisch-adygeischer Abstammung: Schapsughen, Ubychen, Sanigen und Abchasen, die an der nordöstlichen Schwarzmeerküste im Sotschi-Adler Raum lebten. Die zahlreichen Subethnien: Natkhuajer, Schapsughen, Ubychen, Sanigen und Abchasen wurden ins osmanische Reich vertrieben, wo sie sich mit den Einheimischen oder anderen tscherkessischen Völkern vermischten und allmählich aus der Geschichte verschwanden. Nur ein Teil der Schapsughen und Abchasen blieb im Kaukasus zurück.

Die heutige Russische Föderation lehnt die Anerkennung des damaligen Völkermordes ab. Solange dieser Völkermord nicht anerkannt und die ethnische Entfaltung der Tscherkessen in ihrer historischen Heimat nicht gewährleistet wird, ist die Veranstaltung der Olympiade auf dem Boden, auf dem der Völkermord stattfand, eine moralische Verfehlung und widerspricht den Prinzipien des Internationalen Olympischen Komitees - So die Volksorganisation der Republik Adygeja „Kongress der Tscherkessen“ (Vorsitzender: Murat Bersegov)(1).

In der Zeit der Antike und im Mittelalter lebten die zahlreichen Völker adygeischer Herkunft an der nordöstlichen Küste des Schwarzen Meeres. In den georgischen historischen Quellen werden sie unter dem Namen „Jiken“ und deren Siedlungsraum als „Jiketi“ erwähnt(2). Im Mittelalter war ein beträchtliche Teil der Adygejer aus der Sotschi-Tuapse Region in den georgischen staatlich-politischen und kulturellen Raum integriert. Zum Ende des 8. Jahrhunderts durch die Vereinigung Westgeorgiens entstand der westgeorgische Staat „Königreich von Egrissi und der Abchasen“, dessen Grenze bis zum Fluss Nikofsis an der nord-östlichen Küste des schwarzen Meeres reichte(3). Der heutige Name des Flusses Nikofsis ist Netschepsucho, der nordwestlich von der Stadt Tuapse in das Schwarze Meer mündet. Etwa 20 km weit von Tuapse, bei der heutigen Siedlung Novomichailovsk, lag die Stadt Nikofsis, der äußerste Punkt des alten Westgeorgiens(4). Laut den Chroniken des 11. Jahrhunderts „Annalen Georgiens“ schickte der abchasische König Georg der II. (929-957) einen kachetischen Feudalherren [...] nach Djiketi (5), was als Bestätigung dafür gilt, dass man Jiketi zur damaligen Zeit als zum „Königreich der Abchasen“ gehörend betrachtete.

Im 11. Jahrhundert, als sich die gesamt-georgische Monarchie gebildet hat, war Jiketi die Grenzregion des georgischen politisch-staatlichen Raumes. Am Fluss Nikofsis bei der Stadt Nikofsis verlief die äußerste nordwestliche Grenze des vereinten georgischen Königreiches. So war es über die Jahrhunderte(6). Laut einem Geschichtsschreiber, der das Leben des ersten König des vereinten Georgiens Bagrat des III. erzählt, „herrschte er über den ganzen Kaukasus von Djiketi bis zum Gurgeni“(7), d.h. bis zum Kaspischen Meer. Im Leben von Georg Mtatsmindeli ist dokumentiert, dass Nikofsis im 11. Jahrhundert innerhalb der georgischen Grenzen lag(8). Während der Herrschaft David des Erbauers wurde die Formel erarbeitet, wonach sich das Territorium des vereinten Georgiens „von Nikofsis bis zur Darubandsee [2. Synonym für Kaspisches Meer /Übers.] und von Owseti [Ossetien/Übers.] bis zum Aregats´i“ [Aragaz- Bergmassiv in Armenien/Übers.] erstreckte (9). In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, als das vereinte Georgien zerfiel, trennte sich Jiketi von Georgien, obwohl auf den Weltkarten des 16. - 17. Jahrhunderts (u.a. in Russland erfassten) die offizielle georgische Grenze nach wie vor bei der Stadt Nikofsis verlief (10).

Ab Mitte des 16. Jahrhunderts stellte die russische expansionistische Politik die Eroberungsfrage des Kaukasus auf die Tagesordnung. In den Jahren 1567-1588 sind die ersten russischen Festungen und militärischen Siedlungen im Nordkaukasus an den Flüssen Terek und Koisu entstanden. Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist das Interesse noch mehr gewachsen. Für die führenden Schichten Russlands erhielt diese Region zunehmende Bedeutung. Russland hatte eigene wirtschaftliche Ziele und wollte sich den Zugang zum Schwarzen Meer verschaffen, wodurch sich die Handelstore nach Mittelasien und Nahost öffneten, um letzten Endes wirtschaftliche und politische Hegemonie in Nahost
zu erlangen (11).

1763 marschierten die russischen Armeeeinheiten in Kabardinien ein und erbauten die Festung Mozdok am linken Flussufer des Terek, wo eine Kosaken-Garnison stationierte wurde. Die verbitterten Kabardiner verlangten den Abbau der Festung. Stattdessen rückte Russland mit noch mehr Soldaten nach. Der hundertjährige russisch-kaukasische Krieg hatte begonnen (1763-1864), der für die Bergvölker einen anti-kolonialistischen, national-befreienden Charakter hatte, in dem aber Russland die Eroberung des Nordkaukasus (bzw. des Zentral-, West- und Ostkaukasus) beabsichtigte (12).

Anfang des 19. Jahrhunderts schaffte es Russland, sich Georgien und andere südkaukasische politische Einheiten einzuverleiben. Danach war die Eroberung des Nordkaukasus das einzige dringliche, politisch-strategische Ziel für den russischen Zarismus. Da Russland erst den Südkaukasus einschloss, blieb dieser Teil vom russischen Kernland abgetrennt. Solange Kuban und der Nordosten der Schwarzmeerküste außerhalb seiner Kontrolle blieb, konnte Russland seine Macht im Süden nicht sichern (13). Von der politischen Eigenart des Zarismus ausgehend, begann Russland die kaukasische Frage mit aller Kraft zu lösen.

1828-1829 nach der Niederlage im russisch-osmanischen Krieg erkannte der osmanische Sultan den Nordwest-Kaukasus und die nordöstliche Schwarzmeerküste als russischen Besitz an. Zwar gehörten diese Gebiete nicht zum Osmanischen Reich, standen aber unter dem politischen Einfluss „der Hohen Pforte“(14). In diesem Krieg eroberten am 12. Juni 1828 die Russen Anapa, die bedeutende Hafenstadt an der nordöstlichen Küste, die später zum Expansionsstützpunkt Russlands wurde. Nikolaus I. gratulierte Paskewitsch, dem Feldmarschall im Kaukasus, zu dem gegen die Osmanen gewonnenen Krieg mit folgenden Worten: „Da Sie eine grandiose Sache bis zum Ende geführt haben, erwartet Sie demnächst, meiner Meinung nach, eine ebenso grandiose, aber auch aus der Sicht des direkten Profits bedeutendere zu lösende Aufgabe – die völlige Eroberung der Bergvölker oder deren Vernichtung“(15).

Die Direktive des Imperators - „Entweder völlige Eroberung oder Vernichtung der Bergvölker“ – weist in aller Deutlichkeit auf das Wesen und das Ziel der zaristischen Kolonialpolitik im Kaukasus hin. Es ist erwähnenswert, dass selbst eine liberal-demokratische Kraft, wie es die Dekabristen im damaligen Russland waren, die gleiche Ansicht teilten. Im Programmdokument „Russkaja Prawda“ [„Russische Wahrheit“/ Übers.] unterteilte P. Pestel, der Führer der Gesellschaft „Südbund“ der Dekabristenbewegung, die Kaukasusvölker in folgende Kategorien: die rebellisch- kämpferischen und die friedlich-gehorsamen. Laut ihm war es notwendig, die ersten ins Landesinnere zu verbannen, die zweiten allmählich zu assimilieren und mit der in den Kaukasus übersiedelten russischen Bevölkerung völlig zu vermischen(16). Später verfolgte der Zarismus genau diese Ziele.

Nachdem Russland die Iraner (1826-1828) und die Osmanen (1828-1829) besiegt hatte, vermehrte es seine Aktivitäten im Nordkaukasus, unter anderem an der nord-östlichen Schwarzmeerküste. Paskewitsch erarbeitete den Plan zur Blitzeroberung der Bergvölker im Kaukasus, den Nikolaus I. im Oktober 1829 genehmigte (17). Der Plan beabsichtigte, die im Westkaukasus, nämlich an der nord-östlichen Schwarzmeerküste und im Kuban lebenden adygeischen Stämme niederzuschlagen. Wofür, neben den bestehenden […], der Bau von neuen Festungen, deren Anbindung untereinander durch eine Küstenstraße und die Durchführung einiger Expeditionen nach Kuban notwendig waren. Aus diesem Grund wurde die „Expedition Abchasien“ gebildet, deren Ziel sowohl die Besetzung und Sicherung der Küstenstraße zwischen Sokhumi und Anapa als auch die Gewährleistung der Verkehrsanbindung auf dem Festland zwischen den Festungen war - mit dem Endziel, das russische militärisch-administrative Regime in den Bergregionen des Kaukasus zu etablieren(18).

Im Juli 1830 landeten Einheiten der russischen Sturmtruppen an der abchasischen Küste und nahmen Gagra, Bitschwinta und Bombora ein, wo sie strategisch wichtige Punkte besetzten und ihre Einheiten stationierten. Trotz anfänglicher Erfolge wurde der Vormarsch der russischen Truppen nordwestlich von Gagra durch den heftigen Widerstand der Djicken und der Ubychen aufgehalten (19). Parallel zur abchasischen Expedition überquerte I. Paskewitsch den Fluss Kubanij und zerstörte einige Dörfer der Sapsuren. An dem Fluss Kubanij sicherte er einige Forts (20). Die Ziele der Expedition wurden nicht vollständig verwirklicht. Nordöstlich der Schwarzmeerküste, zwischen den Flüssen Bzipi und Khosta (Khamischi) lebten Djicken, ein abchasisch-adygeisches Bergvolk, deren nördlichste Grenze im Kaukasus auf der Bergkette verlaufend, die Wasser trennte. Ihre Wohngebiete waren geteilt in Berg- und Küstengemeinden. Die Berggemeinden der Djicken waren: Pskhu im Bereich des oberen Teils des Flusses Bzipi; Aibga im oberen Bereich des Flusses Psou; Tsijdja, im Bereich des dem mittleren Teil des Flusses Mzimta; Akhtschipschi, im oberen Bereich des Flusses Mzimta. Die Küstengemeinden teilten sich, nach Adligen benannt, folgendermaßen auf: Zan, zwischen den Flüssen Bzipi und Khaschupse; Getsch, zwischen Khaschupse und Mzimta; Ard (Ared), zwischen Mzimta und Khosta und zwischen Khosta und Schache lebten Ubychen. Zwischen Schache und dem Fluss Pschada siedelten Schapsugebi und zwischen Pschada und dem unteren Teil von Kubani befand sich der Sitz der Natkhwadjen (21).

Im Raum des Flusses Kubani lebten mehrheitlich adygeische (Tscherkessen) und abasische Völker. In der Mitte des 19. Jahrhunderts waren die wichtigen adygeischen Subethnien: Khabadyner, Beslenen, Temirgoien, Bdjedugien, Khatukai, Machwaschi, Mamchegi, Egerukwi, Abasechi, Schapsugi, Natkhwadjen. Auf der linken Seite des Flusses Kubani, an der Stelle wo der Fluss Labi einmündet, lebten die Nogaelen, türkischer Abstammung. Im westkaukasischen Hochgebirge, in Zol, am Fluss Kuma, auf der linken Seite des Flusses Kuban, an der Quelle des Flusses Labi lebten abasische Stämme: Tam, Kisilbeki, Schachgirai, Baschilbai, Bag, Barakai, Baskhogi. Nur die Adygejer zusammen mit den Khabadynern in den 30er und 40er Jahren des 19. Jahrhunderts waren allein 500 000. Davon waren die meisten Schapsugen (ca. 200.000), Abadsechier (ca. 160.000) und Nathkwadier (ca. 60000) (22). Anzumerken ist, dass die Russen durch das ganze 19. Jahrhundert diese Völker abfällig Stämme genannt haben.

Russland brauchte viel Zeit, Kraft und materielle Ressourcen, um die kaukasischen Bergvölker unter ihre Kontrolle zu bringen. Nach den russisch-iranischen und den russisch-osmanischen Kriegen, in denen Russlands Position im Kaukasus gefestigt wurde, schenkten die Russen den kaukasischen Bergvölkern mehr Aufmerksamkeit. Um den Kaukasus zu beherrschen war es unverzichtbar, die freien Bergvölker zu unterwerfen. In den Dreißigerjahren des 19. Jahrhunderts hielt sich die russische Militärführung zurück, eine Offensive zu starten. Sie beschränkte sich darauf, die Festungen von Anapa und Gagra zu halten. In dieser Zeit schenkte die zaristische Verwaltung dem nordöstlichen Kaukasus, den tschetschenisch-dagestanischen Militärmaßnahmen größere Aufmerksamkeit, obwohl parallel dazu auch russische Militärexpeditionen in den Westkaukasus stattfanden. In der Zeit des Barons Rosen (1831-1837), des Generals des kaukasischen Militärkorps, wurde durch die Ansiedlung von Kosaken zwischen den Flüssen Kubani und Labi der Grundstein gelegt, um die Kubaniflußebene und den Vorkaukasus zu besetzen. Die kaukasische Militärführung baute an der Schwarzmeerküste Festungen und Straßen, was die zaristische Herrschaft in dieser Gegend noch weiter festigte. In der Führungszeit von General E. Golowin (1837-1842) baute die russische Generalität an wichtigen Punkten der östlichen Schwarzmeerküste Festungen und in den besetzten Territorien Straßen. In der Regel wurden die Festungen und Forts an Flussmündungen gebaut, um die Urbevölkerung von der Außenwelt, in erster Linie von dem Kontakt mit den Osmanen und Engländern, abzuschneiden. Die Russen festigten ihre Macht an den Küsten des Schwarzen Meeres, die russische Flotte gewann gute Voraussetzung für ihre Herrschaft auf dem Schwarzen Meer. 1837 besuchte Nikolaus I. höchstpersönlich den Kaukasus. Während seines Aufenthaltes in Anapa befahl er die Beschleunigung des Baus dieser Forts. Die Armee sollte die gesamte tscherkessische Küste besetzen (23). 1837 wurden an der nordöstlichen Küste des Schwarzen Meeres folgende Festungen gebaut: Swijatogo dukha (Adler), an der Mündung des Flusses Mzimta, an der Landzunge bei Adler; Nowo-Troitskoje, an der Mündung des Flusses Pschadi; Michailowskoje, am Fluss Wulani, 1838 Fort Alexandria, was im nächsten Jahr in Nawaginskij umbenannt wurde (beim Fluss Sotschi); Welijaminowkoje, beim Fluss Tuapse; Tengiskoje, beim Fluss Schapsukho; Noworosijskij, in der Biegung des Zemessi; 1839 Fort Golowinskij (am Zusammenfluss von Subaschi und Schachi) und Fort Lazarjewskoje beim Fluss Psesuapse (24).

1839 wurden alle Festungen an der Ostküste des Schwarzen Meeres durch Straßen miteinander verbunden. Alle diese Festungen mit den dort stationierten Truppen bildeten zusammen eine Linie des Schwarzmeersystems. Nordöstlich des Schwarzen Meeres lebende Djicken, Ubychen, Schapsugen, Natkhwadjen überfielen andauernd die russischen Festungen und die Truppen und versetzten sie in andauernde Angst. Anfang 1840 verstärkten sie ihre Attacken gegen die russischen Truppen. Sie waren im Bilde darüber, dass die Festungen nicht genügend gesichert waren. Die stationierten Garnisonen waren nicht groß. Die Soldaten hatten diverse Probleme. U.a. waren sie nicht ausreichend bewaffnet. Dadurch ermutigte Bergvölker attackierten im Februar/März Lazarjewskoje, Welijaminowkoje und Michailowskoje (25).

Die russische Militärführung ging davon aus, dass an der Schwarzmeerküste solange keine Ruhe herrschen würde, solange die Ubychen nicht unterworfen seien. Anfang 1841 stürmten die russischen Truppen über Djiketi und den Fluss Mzimta. Sie zerstörten einige Dörfer und gelangten bis zur Naanginskij Festung. Aber in das Landesinnere, in die Berge, gelangten sie nicht. Die Ubychen leisteten heftigen Widerstand. Von neun Söhnen des siebzigjährigen Ubychenanführers Hadschi Dagumokwa Barsegi fielen vier im Kampf und die anderen wurden verwundet. Die Expedition kehrte Anfang November nach Adler zurück (26). Ein reales Ergebnis hat diese Militärexpedition nach Ubychien nicht erbracht.

Während des Krimkriegs 1853-1855 war die russische Führung gezwungen, die Festungen an der Schwarzmeerostküste zu räumen und zu sprengen. Nach dem Krieg attackierte die russische Führung mit verstärkten Kräften die kaukasischen Bergvölker. Der ungleiche Kampf dauerte an. Das zaristische Russland konzentrierte seine Kräfte. Das Kaukasische Korps wurde zu Armeegröße aufgestockt. Der Verwalter des Zaren und Befehlshaber A. Barjatinki (1856-1862) konzentrierte sich hauptsächlich auf Tschetschenien und Dagestan, aber er war sich darüber im Klaren, dass ohne die Einbindung des nordöstlichen Schwarzen Meeres eine Eroberung des Westkaukasus unmöglich wäre. Im Januar 1858 vernichteten die russischen Truppen die Dörfer der Abadsechier am Fluss Qurdjipse und am Fluss Pschekha, Dörfer der Schachgireen am oberen Fluss Khodsi und 23 Dörfer der Natkhwadjen. Sie gründeten sechs Stationen an den Flüssen Urupi, Tegeni und dem großen Selentschuk (27). Im Januar/Februar 1859 bestürmten die russischen Truppen die Bergvölker zwischen den Flüssen Laba und Belaja. Mit Feuer und Schwert vernichteten sie deren Dörfer und deren Hab und Gut. Deshalb stürmten sie die Dörfer im Winter. Bjedugen, Beslenen, Makhwschen, kubanische Nogaider, Temirgois, Egerukwen, und Schakhgiren waren gezwungen ihren Widerstand aufzugeben und sich zu unterwerfen (28).

Am 25. August 1859 ergab sich Schamil, der berühmte Anführer des nationalen Befreiungskampfes der kaukasischen Bergvölker. Russland hatte den nordöstlichen Kaukasus, Tschetschenien und Dagestan erobert und damit endete eine wichtige Etappe des kaukasischen Krieges. Mit Beendigung der Kriegshandlungen im nordöstlichen Kaukasus erkannten die Bergvölker, dass eine Fortsetzung des Krieges sinnlos sein würde und entschieden sich, um nicht unter dem Joch des kolonialen Regimes leben zu müssen, ins osmanische Reich überzusiedeln. Russland hatte keine Einwände, ganz im Gegenteil, es beförderte dies sogar, weil die russische Regierung sich nach der Umsiedlung der ungehorsamen Bergvölker erhoffte, dass ein stabiler Frieden einkehren würde. Außerdem wurden die großen frei gewordenen Landstriche von den Neusiedlern, die für kolonialistische Ziele benutzt wurden, in Besitz genommen. Sie bildeten eine stabile Stütze des kolonialen Regimes. So sind hunderttausend Dagestaner, Tschetschenen, Osseten übergesiedelt. Wie ein treuer Beamter des zaristischen Regimes, E. Weidenbaum bemerkte, „die kaukasischen Bergvölker, die gegen Russland mit großen Selbstopfern gekämpft hatten, sind als Verlierer, aber keineswegs als Unterworfene, ins osmanische Reich gegangen“ (29).

Nach der Eroberung des nordöstlichen Kaukasus setzten die größeren westkaukasischen Bergvölker, die Adygen und Abasen, den Kampf fort. Deshalb beorderte die russische Militärführung die Haupteinheiten der kaukasischen Armee mit 200.000 Mann in den Westkaukasus. Alexander II. (1855-1881) forderte von der Militärführung, dass der anhaltende Krieg, der Unmengen an Mitteln aufbrauchte, schnell zu beenden sei. Russland brauchte einen schnellen Sieg, um nach der Niederlage im Krimkrieg (1853-1856) sein Ansehen in Europa wiederherzustellen (30). Im September 1860 hat der Oberbefehlshaber der kaukasischen Armee und Vertreter des Zaren A. Barjatinki in Wladikawkas eine Strategiesitzung anberaumt, um Maßnahmen für eine schnelle Beendigung des Krieges zu besprechen. Auf dieser Sitzung wurde entschieden, um die Unterwerfung der westkaukasischen Völker voranzutreiben, eine Offensive im oberen Bereich des Flusses Laba und Belaya zu beginnen und von dort aus die Abadzechen, Schapsugen und Ubychen in Richtung Meer zu treiben. Sofern sie sich weigern würden, in die Steppen von Stawropol umzusiedeln, sollten sie ins osmanische Reich umsiedeln und in ihrer Heimat sollten sich Russen, hauptsächlich Kosaken, ansiedeln. Die russische Militärführung war der Auffassung, dass ohne diese Maßnahme die Eroberung des Kaukasus nicht endgültig sein könnte (31). Die russische Kolonialisierung sollte nicht nur die Landnahme abschließen, sondern sie war ein Hauptmittel der Eroberung (32). Damals dieser heißen Spur folgend schrieb R. Fadeejew: „Die westlichen Gebirge müssen umgehend und ohne jegliche Rücksicht auf Verluste eingenommen werden“ (33).

Um also den Kaukasus zu unterwerfen, wurde als Hauptmittel die militärische Kolonialisierung angesehen. Bislang wurden gegen die kaukasischen Bergvölker Expeditionen ausgeschickt, sie besiegten sie und unterwarfen sie, aber danach kämpften sie trotzdem weiter gegen die Russen. Das verursachte sehr große Verluste an Soldaten, während aber das Land unbesiegt blieb. Nun wurde beschlossen, die ergebnislosen Militärexpeditionen abzubrechen und stattdessen in den Bergen mit einer systematischen Schaffung von Kosakensiedlungen zu beginnen. Die kaukasischen Bergvölker sollten in die Niederungen oder ins osmanische Reich umsiedeln. Auf diesem Wege versuchte die russische Regierung den kaukasischen Völkern ihren natürlichen Schutz, die Berge, zu nehmen. Mit der Ansiedlung in die Ebenen wollten sie sie unter ihre administrative Kontrolle bringen und mit der Umsiedlung ins osmanische Reich ihre Bevölkerungsanzahl im Land schwächen. Später im Oktober 1861 hat A. Barjatinki offen geäußert, dass das Ziel der Umsiedlung der westkaukasischen Völker darin bestand, „die kaukasischen Täler zu entvölkern und die sehr schönen und fruchtbaren Gegenden für die kosakische Bevölkerung zu erschließen“ (34).

Im Januar/Februar 1861 begannen die Russen mit einer Militäroffensive in Richtung der Nordhänge des Kaukasus, gegen die Schapsugen. Sie holzten die Wälder ab und bauten Straßen und Festungen. Bald stellte die russische Generalität den Abazechen ein Ultimatum zur Umsiedlung nach Kuban. Im April begannen sie mit einer großflächigen Offensive und zwanzig Tage lang sind sie mit Feuer und Schwert tief in die Gegend zwischen den Flüssen Laba und und Bellaia, dort wo der Fluss Chodzi mündet, eingedrungen. Abazechen, Machwaschen, Egerukwen versuchten, sich im Gebirge in Sicherheit zu bringen. Im Juni waren bereits die beiden Ufer des Flusses Bellaia in russischer Hand. Aber die Abazechen leisteten weiterhin Widerstand (35). Die westkaukasische Gebirgsbevölkerung sah die großen Gefahren und verbündeten sich noch stärker miteinander. Nach einer Initiative der Ubychen im Juni 1861 versammelten sich sämtliche westkaukasischen Völker im Flusstal Sotschi und wählte einen Rat aus fünfzehn Personen, der sich Medjlisi nannte. Das gesamte Territorium wurde in zwölf Bezirke unterteilt. In jedem Bezirk gab es einen Mufti, einen Kadi und einen Mamasachlisi (Verwalter). Äußerlich ähnelte diese Organisation dem Imammadi-System, aber es hatte keinen so stark theokratischen Charakter. Die Bergbevölkerung versuchte über die Selbstorganisation hinaus eine Unterstützung im Osmanischen Reich und in England zu finden. Einer der Anführer der Ubychen Kerentuch Barseg und das Medjlisi-Mitglied Ismail Barakhai-Ifa Dziaschi richteten einen Brief an den englischen Konsul Dixon in Suchumi mit der Bitte, dass er seiner Regierung über die russische Aggression gegen die Tscherkessen informieren und zu einer Stellungnahme bewegen sollte (36).

Im September 1861 traf Alexander II. in den Kriegsgebieten ein. Am 18. September gab es Audienz des Zar eine mit den Gesandten der westkaukasischen Bergvölker, den Abazechen, Schapsugen, den Ubychen u.a. Sie baten darum, als Untertanen auf ihrem angestammten Gebiet weiter leben zu dürfen. Aber der Zar lehnte dieses Anliegen kategorisch ab und verkündete stattdessen, dass er ihnen einen Monat Zeit gäbe, zu überlegen, entweder in die Niederungen von Kubani oder ins Osmanische Reich überzusiedeln (37). Für die Bergvölker war offensichtlich, dass sie mit der Umsiedlung in die Niederungen von Kuban und Laba ihre Unabhängigkeit und Freiheit verlieren würden. Deren größerer Teil wollte auch von einer Umsiedlung ins Osmanische Reich nichts wissen. Daher kamen Sie der Aufforderung des Zaren nicht nach und im November wurde der Krieg erneut fortgesetzt. Die russische Militärführung siedelte intensiv Kosaken in den Gegenden der Natkhwadjen und der Schapsugen an. Den Natkhwadjen wurde Land entlang des Kuban zugewiesen. Zwischen dem Frühjahr 1861 und dem Frühjahr 1862 entstanden im Kubani Bezirk fünfunddreißig Staniza (Siedlungen) (38). Anfang 1862 waren die russischen Einheiten schon am Fuß des Kaukasus, unmittelbar vor dem Siedlungsgebiet der Ubychen, angelangt. Dieses Ereignis war 1862 ein Anlass für eine Sonderversammlung des Medjlisi. Dieser beschloss, einen Gesandten mit der Bitte um Unterstützung nach Istanbul, Paris und London zu schicken (39). Im Juni 1862 versuchten die Abazechen und Schapsugen noch einmal, die russische Armee zu stoppen. Fünftausend Ubychen kamen zur Hilfe. Im Juni/Juli wurde sehr hart gekämpft. Obwohl die Bergbevölkerung aufgeben musste, leistet sie doch weiterhin Widerstand (40). Gleichzeitig hat die Deputation des Medjlisi unter der Leitung von Ismail Barakhai-Ifa Dziaschi Istanbul und eine ganze Reihe europäischer Staaten besucht und dort um Unterstützung geworben, aber ohne Ergebnisse. Ende 1862 traf sich die Deputation der Bergvölker mit dem polnischen Revolutionär Theophil Lapinski, der an der Seite der kaukasischen Völker gekämpft hatte und mit dem Premierminister von Großbritannien Lord Palmerston und bat um Hilfe gegen die russische Aggression. Th. Lipinski hielt eine flammende Rede und vertrat den Standpunkt, dass Europa kein gleichgültiger Beobachter gegenüber dieser kaukasischen Tragödie sein könne. Notwendig wären energische Maßnahmen, um die russischen Kräfte zu paralysieren. Europa sollte etwas dazu beitragen, um die russischen Kräfte im Süden zu zersplittern, damit die Bergvölker vor der Vernichtung gerettet werden können. Th. Lipinski hat große Hoffnungen auf England gesetzt, weil England in „östlichen Fragen“ Russlands Gegner war. Halmerston hörte aufmerksam zu, aber ihm war bewusst, dass der Einmarsch Russlands in den Kaukasus unaufhaltsam war. Deswegen verweigerte er die Unterstützung (41).

Anfang 1863 wurden schließlich die Abazechen von den Russen eingekesselt. Sie waren gezwungen, mit den Russen zu verhandeln, aber die russische Militärführung stellte ein Ultimatum, dass vorsah, dass sie nach Kuban oder ins Osmanische Reich zu gehen hätten. Die Abazechen wollten die Heimat nicht verlassen. Im April griffen die Russen an und die Abazechen bemerkten im Gefolge der Armee eine Unmenge von Neusiedlern, die sofort das eroberte Gebiet in Besitz nahmen. Daraufhin verloren die Abazechen ihren Mut und als einziger Ausweg blieb ihnen nur, ins osmanische Reich überzusiedeln. Die Abazechen baten General N. Ewdokimow, eine organisierte Übersiedlung zu gewährleisten, worauf der letztere sogar seine Unterstützung versprach (42). Gleichzeitig attackierten die Russen die Schwarzmeerküste im Bereich der Schapsugen und im Sommer 1863 setzten die russische Einheiten die militärischen Maßnahmen gegen die Schapsugen, Natkhwadjen und Abazechen fort, bauten Straßen und errichteten wie geplant weiterhin Wehrdörfer. Im Sommer wurden in dieser Gegend zwanzig neue Staniza errichtet, aus denen zwei Kosakenbataillone gebildet wurden. Zwischen 1860 und 1863 wurden im Kubani-Bezirk achtundfünfzig Staniza mit zehntausend Familien errichtet (43).

Im Oktober/November unterwarfen die Russen die Schapsugen endgültig und im Dezember drangen sie bis zur Mündung des Flusses Schapsugo vor. D.h., dass gegen Ende 1863 der ganze Nordwesten des Kaukasus von den Russen erobert wurde. Es blieben nur die Südhänge des Kaukasus und die Schwarzmeerküste, wo ein Teil der Schapsugen, Ubychen und Djicken lebten. 1863, am 10. Dezember, schrieb der Stellvertreter des Zaren und Oberbefehlshaber der kaukasischen Armee, Großfürst Michail Nikolajewitsch Romanow (1862-1881): „Die endgültige Befriedung des Kaukasus sollte durch die Ansiedlung russischer Bevölkerung östlich der Schwarzmeerküste erfolgen. Diese für den Staat wichtige Maßnahme soll in naher Zukunft stattfinden. Mit Kosaken-Staniza sind die Landstriche schon besetzt. Von der Kubani-Mündung bis zur Cemisi-Bucht und bis zur Mündung des Flusses Djuba ist der Küstenstreifen schon gesäubert. Bis zum Frühjahr soll auf den verbliebenen Territorien, die für die Ansiedlung der Kosaken vorgesehen sind und die durch seinen besonderen Beschluss des Zaren besiegelt wurde, niemand von der Bergbevölkerung leben bleiben. Wenn uns die Auslandsangelegenheit nicht hindern, dann erhoffe ich für den nächsten Sommer die Säuberung des Küstenbereichs sogar bis zum Fluss Bsipi, wie es auch nach diesem Beschluss vorgesehen ist (44). Also hatte die Regierung schon entschieden, die Schwarzmeerküste bis zum Fluss Bsipi mit Kosaken zu besiedeln. Der Zarenvertreter Michail Nikolajewitsch Romanow beabsichtigte, die Meereswirtschaft, den Fischfang und die Kosakenlandwirtschaft zu fördern.

Fortsetzung folgt

1. Kongress der Tscherkessen gegen die olympischen Winterspiele in Sotschi,
siehe: http://ewnc.org/node/953
2. Z. Anchabadeze, M. Tzintzadze: Georgien und Nordkaukasus im 12. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts; Georgien in der Rustaweli-Ära, Seite 151, Tbilissi 1966
3. Z. Anchabadze: Aus der Geschichte des mittelalterlichen Abchasiens (VI-XVII), Sokhumi 1959, S. 110. Skizzen aus der Geschichte Georgiens, Bd. II, S. 283, Tbilissi 1988.
4. Z. Anchabadze „Aus der Geschichte des mittelalterlichen Abchasiens“, S. 110;
L. Lavrow „Ethnographie des Kaukasus“, L …, S. 168, 1982.
5. „Annalen Georgiens“ („Kartlis ckhovreba“) Textanalyse aller wesentlichen Skripte von S. Kaukhchishvili, Buch I, S. 268, Tbilissi 1955.






Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen