Donnerstag, 12. April 2018

Einführungstext an der Elbphilarmonie. Antschiskhati Chor Konzert


Einführungstext an der Elbphilharmonie am 01.04.2018 für den Antchiskhati Chor Konzert im Rahmen des Kaukasus Festivals



Sehr geehrte Damen und Herren,

In einem Hamburger Vers aus dem 18. Jahrhundert war die Zugehörigkeit der Bürger genau definiert: 
"Sankt Petri den Reichen / Sankt Nikolai desgleichen / Sankt Katharinen den Vornehmen / Sankt Jacobi den Bauern, / Sankt Michaelis den Armen  / Dat mag Gott wohl erbarmen."-
- Nun können wir noch einen Satz hinzufügen: die Elbphilharmonie – ein Ort für Alle!
Wir begrüßen sie heute Abend in diesen Saal, der Elbphilharmonie, worauf wir Hamburger stolz sind und dazu möchte ich mich auch zählen.
An diesem  geschichtsträchtigen Platz, bekommt das Schlagwort „Hamburg - Tor zu Welt“ einen konkreten Inhalt.
Eine georgische Legende besagt: Als der Herrgott die Erde aufteilte, hat er ein kleines Stück Erde für sich behalten. Plötzlich kommen die Georgier schön singend daher, denn sie haben die Aufteilung verpasst. Gott gefällt so sehr, was sie singen, dass er das Land, was er für sich vorgesehen hat,  dem „singenden Volk“ schenkt.
Schon der altgriechische Geschichtsschreiber Strabon nannte die Georgier ein „singendes Volk“.
So wie die Herkunft der georgischen Sprache den Forschern noch heute Rätsel aufgibt, steht auch die Musik als einzigartiges Phänomen neben den anderen Musikkulturen der Welt.
In der Musik Georgiens spiegelt sich nicht nur die komplexe kulturelle Geschichte des Landes, sondern die ganze Fülle der  Entwicklungsstufen und  Formen der Musik wieder.
Georgische Musik ist grundsätzlich mehrstimmig. Die Entwicklung der georgischen Polyphonie- Mehrstimmigkeit, geht der europäischen um mindestens dreihundert Jahre voraus und basiert auf  einem eigenen Notensystem.
Der Musikwissenschaftler und Sozialanthropologe Siegfried Ferdinand Nadel behauptet, dass die Verbreitung der Polyphonie in der europäischen professionellen Musik georgischen Ursprungs sei.
Die musikalische Tradition Georgiens ist insofern bedeutsam, als das Land von Kulturen umgeben ist, in denen es keine Mehrstimmigkeit gibt. Die georgische Sprache und die Musik zeichnen ihre historisch-geographischen Grenzen genau auf.
Es ist doch vielleicht mehr als nur symbolisch, dass für eine utopische Idee, ein Lied aus dem Kaukasus, der oftmals als „Berg der Sprachen“ und als „Berg der Völker“ bezeichnet wird, ins All geschickt wurde. Das georgische Lied „Chakrulo“ erklingt  auf der sogenannte Golden Record, die die NASA mit der Raumsonde Voyager im Jahr 1977 mitgenommen hat. Sie soll für die nächsten 500 hundert Millionen Jahre ein Zeugnis über die Menschheit ablegen.  
Wir wünschen Ihnen einen erlebnisreichen Abend und beginnen nun mit Oster-Gesängen.
 Teil II
Wir freuen uns auf  den zweiten Teil unseres Konzerts und weiter mit Ihnen zusammen zu sein.
Nach der Christianisierung Georgiens in den 30er Jahren des IV. Jahrhunderts ist die Mehrstimmigkeit als musikalische Sprache vermutlich von der Kirche übernommen worden und im Sinne des christlichen Trinitätsgedankens als Dreistimmigkeit kanonisiert.  
Ist in dieser Musik vielleicht ein Schlüssel verborgen, durch den sich der tiefere Sinn des in alten georgischen Schriften gebrauchten Begriffs  „Schekovleba“ eröffnet? Dieses Wort lässt sich mit „Vereinigen“ oder „Zusammenfügen“ übersetzen. Wurde vielleicht in der kompliziert verlaufenden Stimmführung, die in jedem Lied  Unisono endet, dieses sakrale Daseinskonzept zum Ausdruck gebracht?
David Schugliaschwili der Musikwissenschaftler und einer von vier Gründern des Anchischati Chors äußerte sich wie folgt in einem Interview mit mir: ...“die georgische Mehrstimmigkeit ist eher eine Suche nach der Einigkeit, ein Sich-Finden in der Unterschiedlichkeit.“
Von der Eroberung des Kaukasus und der Annexion des Landes durch das zaristische Russland war auch die georgische Musik betroffen. Der seit dem 4. Jahrhundert eigenständigen georgischen Kirche wurde die Autokephalie  genommen und Kirchengesang verboten. Die Fresken wurden übermalt, die georgische Königsdynastie, die Älteste in Europa, wurde aufgelöst, zerstreut oder unter den Zar gestellt.
Die georgische Sprache, die zu einer alleinstehenden Sprachfamilie gehört, war bald vom Aussterben bedroht. Genau ab diesem Zeitpunkt gab es in Georgien ein Erwachen der nationalen Bewegung, des so genannten TERGDALEULI, - also diejenigen, die vom Tergi, einem Fluss im Norden Georgiens, getrunken hätten bzw. ihn überquert haben. Das waren junge Menschen, die in Petersburger oder europäischen Universitäten studiert hatten und zurückgekehrt sind. Es wurden erste Versuche unternommen um die bis dato die mündlich überlieferte georgische Musik aufzuschreiben.
Georgiens Geschichte wurde mehrfach auf das bitterste unterbrochen: Revolution, Aufstände, kurze Unabhängigkeit vor genau 100 Jahren, 1918, war es dieerste sozialistische Republik weltweit, in der unter mehrere progressive Reformen, wie die Frauenrechte, in der Welt für Aufsehen sorgten. Dann gab es wieder erneute Annexion, Repressalien, kommunistisch autoritäre Regime, dunklere 1990er Jahre, Giftgase, Demonstrationen und noch mal die ersehnte Unabhängigkeit 1991, ein Auf und Ab, die erneute Okkupation, den Krieg vom 2008 und die heutige Stagnation.
Der Dichter und Philosoph Johann Gottfried von Herder sammelte Volkslieder und gab einen Band heraus:
“Stimmen der Völker in Liedern”, und damit wurde Herder Initiator der deutschen Volksliedforschung. Herder schrieb: „das Lied bleibt und wird gesungen....“  "Poesie und insonderheit Lied (....) lebte im Ohr des Volkes, auf den Lippen und der Harfe lebendiger Sänger, ... sie war die Blume der Eigenheit eines Volkes."
Diese Lieder eines Volkes haben viele Freunde gefunden. Überall auf der Welt werden georgische Lieder entdeckt und gesungen. Wir möchten, dass diese Blume, nach Herders – „der Eigenheit des Volkes“- eine Blume dieses Planeten bleiben soll.
Frohe Ostern!
Ich danke Ihnen!
Marika Lapauri-Burk

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen